Das neu(t)rale Netzwerk

Am 2. September 2025 wurde APERTUS veröffentlicht – das erste vollständig transparente Sprachmodell des Landes. Was für manche nach naiver helvetischer Gutmütigkeit aussehen mag, könnte sich als cleverer Schachzug erweisen – und die Art verändern, wie wir mit Maschinen zusammenarbeiten.

9/3/20253 min lesen

Das neutrale Netzwerk
Warum Transparenz die bessere KI-Strategie sein könnte

Am 2. September 2025 wurde APERTUS veröffentlicht – das erste vollständig transparente Sprachmodell des Landes. Was für manche nach naiver helvetischer Gutmütigkeit aussehen mag, könnte sich als cleverer Schachzug erweisen – und die Art verändern, wie wir mit Maschinen zusammenarbeiten.

OpenAIs Modelle sind alles andere als "open". Auch Google & Co. hüten ihre Geheimnisse wie ihren Augapfel. Und selbst die, die sich transparent geben, sind es nicht wirklich. Was die ETH Zürich, die EPFL und das Supercomputing-Zentrum CSCS mit APERTUS machen, ist deshalb fast eine kleine Revolution am KI-Markt: Bei APERTUS ist alles offen, Trainingsdaten, Quellcode, Modellgewichte, sogar die Zwischenschritte des Trainings.

Das steht im krassen Kontrast zu den proprietären Vorgehensweisen der grossen Anbieter. Und es wirft eine fundamentale Frage auf: Verändert Transparenz die Art, wie wir mit KI zusammenarbeiten?

Digitale Allmende vs. kommerzielles Produkts

APERTUS versteht sich explizit nicht als ChatGPT-Konkurrent, sondern als Plattform für alle, die KI zu eigenen Bedingungen nutzen wollen. Die Schweizer Wissenschaftler*innen stellen bewusst kein fertiges Produkt bereit, sondern ein technisches Fundament zur Weiterentwicklung durch andere.

Diese Philosophie ist mehr als nur Idealismus, denn die Schweiz hat ein reales strukturelles Problem: Silicon Valley und Beijing machen das KI-Rennen unter sich aus, während Europa droht, in der digitalen B-Liga steckenzubleiben. Wer nicht beim Wettrüsten um die grösste KI mithalten kann, muss andere Wege finden, relevant zu bleiben – Apertus könnte einer sein.

Kollaboration statt Monopolisierung

Die technischen Daten sind beeindruckend: 4096 GH200-GPUs, 15 Billionen Trainingstokens, über 1000 Sprachen. Das neue xIELU-Aktivierungsverfahren und der AdEMAMix-Optimierer sind Eigenentwicklungen der Schweizer Teams.

Der entscheidende Unterschied aus unserer Perspektive ist jedoch ein anderer: 40 Prozent der Trainingsdaten von APERTUS sind nicht-englischsprachig. Eine bewusste Absage an die anglophone Dominanz der KI-Welt – und ein direkter Angriff auf eines der grössten Probleme beim täglichen Arbeiten mit KI.

Sprache als Schlüssel

Hier wird APERTUS für Praktiker interessant: Das Modell spricht Schweizerdeutsch und Rätoromanisch. Für Schweizer bedeutet das: keine Umwege mehr über Hochdeutsch oder Englisch, weniger kulturelle Übersetzungsverluste.

Das ist mehr als technische Spielerei. Wer täglich mit KI arbeitet, kennt das Problem: Die Qualität der Zusammenarbeit hängt entscheidend davon ab, wie natürlich die Kommunikation funktioniert. Wenn ich einem System erst viermal übersetzen muss, was ich meine und Antworten erhalte, die schlecht zusammengebastelt wirken, entstehen Reibungsverluste. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit ist dahin.

Drei praktische Vorteile

Für alle, die beruflich mit KI arbeiten, bietet APERTUS drei konkrete Verbesserungen:

  1. Bessere Kommunikation: Natürliche Sprache führt zu produktiverer Kollaboration. Keine Übersetzungsschleifen, weniger Missverständnisse.

  2. Mehr Vertrauen: Wenn ich weiss, womit ein Modell trainiert wurde, kann ich seine Antworten besser einschätzen. Besonders wichtig bei kritischen Entscheidungen.

  3. Echte Anpassung: APERTUS lässt sich modifizieren, erweitern, an spezielle Bedürfnisse anpassen. Das öffnet Türen für massgeschneiderte Lösungen, die mit Black-Box-Systemen unmöglich wären.

Ein Statement mit Signalwirkung

APERTUS ist mehr als nur ein weiteres Sprachmodell. Es ist ein Statement, wie verantwortungsbewusste KI-Entwicklung aussehen sollte: kollaborativ statt monopolistisch, transparent statt verschlossen, kulturell sensibel statt hegemonial. Die Macht der Sprachmodelle ist zu gross, als dass wir sie in der Obhut einiger ehrgeiziger Geschäftsleute lassen dürfen.

Die Schweizer haben bewiesen, dass es auch anders geht. In einer Zeit, in der KI gern als Magie verklärt wird, setzen sie auf das Gegenteil und erlauben den Blick ins Herz der Maschine. Manchen Zauberern am Markt mag das nicht gefallen, für die meisten von uns ist es ein Geschenk – und ein ermutigendes Signal: Denn die beste Technologie ist nicht die geheimnisvollste, sondern die, der wir am ehesten vertrauen können.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob Transparenz als Geschäftsmodell funktioniert. Und ob die Schweizer*innen vom offenen Ansatz ihrer Forschung profitieren. Klar ist aber schon jetzt: APERTUS verändert die Regeln des KI-Spiels, und das könnte uns allen nutzen.

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APERTUS ist verfügbar über Hugging Face, das Swisscom-Netzwerk und das Public AI-Netzwerk. Die Apache 2.0-Lizenz erlaubt kommerzielle Nutzung ohne versteckte Fallen. Und ich nutze Em-Dashes aus stilistischen Gründen weiter, egal ob es dem Algorithmus gefällt oder nicht.